1. Projektbeschreibung (Ziele, Ablauf, Schwerpunkte)
Kurzbeschreibung
Die Lesezeit am Kindergarten Jois richtet sich an Vorschulkinder, die die sensible Phase der Transition durchlaufen.
Ziel ist eine konkrete Lesefrühförderung, indem man sich anhand von Büchern mit Themen auseinanderzusetzt, die dem kindlichen Erfahrungsbereich entsprechen – Gefühle, Schlimmsein/Bravsein – bzw. sich an aktuellen Ereignissen orientiert, die Kinder in diesem Alter beschäftigen – Flüchtlinge, Vorurteile.
Durch das Zuhören, Betrachten der Bilder und Mitreden sollen die Kinder erkennen, was ein Buch alles kann. Das Neugierigmachen auf die Geschichte, die sich zwischen zwei Buchdeckeln verbirgt, steht ebenso im Mittelpunkt wie das Wecken der Lust selbst ein Buch lesen zu können.
Im Mittelpunkt der Lesezeit steht immer ein Bilderbuch, das vorgelesen wird und dessen Bilder gleichzeitig für alle gut sichtbar an die Wand projiziert werden. Der Vorleseprozess kann jederzeit durch Fragen bzw. Kommentare unterbrochen, ergänzt werden.
Folgende Themen werden anhand folgender Bücher beleuchtet:
Das ist ein Buch – L. Smith „Das ist ein Buch“, D. Napp „Dr. Brumm“
Schlimme Kinder – W. von Bredow/ A. Kuhl „Lola rast“
Heute bin ich … – M. van Hout „Heute bin ich …“
Ein Kind auf der Flucht – C. K. Dubois „Akim rennt“
Vorurteile – R. Shami „Wie ich Papa die Angst vor Fremden nahm“
Drachen – M. Auer „Lieschen Radieschen“
Helden – D. Napp „Supadupa - Schwein“
Lies mit mir! – gemeinsam mit VS Jois
Lesen & Schreiben – A. de Lestrade „Die große Wörterfabrik“
Ein wesentlicher Bestandteil jeder Lesezeit ist die Lesepost, ein Kuvert für jedes Kind, befüllt mit selbst erstellten Spielen, Erzählstreifen, Bilderdurcheinander, Zeichenanregungen etc. Diese Lesepost involviert vor allem die Eltern.
2. Dauer/Umfang und ProjektteilnehmerInnen
Beginn des Projektes
6. Oktober 2015
Ende des Projektes
7. Juni 2016
In welcher Frequenz lief/läuft das Projekt?
monatlich
Anzahl Kinder
13
davon Kinder mit anderer Erstsprache als Deutsch
2
Alter
6
Schulstufen
Vorschule
Extern eingebundene Personen
Die Lesepost involviert die Eltern bei jeder Lesezeit, sie müssen Spielanleitungen vorlesen bzw. Texte auf Puzzles. Die Eltern übernehmen auch die Zuhörerrolle, wenn ihr Kind über das in der Lesezeit Gehörte plaudert.
Mit dabei ist die 4.Kl. VS Jois in Form von Peer Teaching. In einer Lesezeit in der Schule lesen Schul- u. Vorschulkinder gemeinsam
Partnerorganisation und Ansprechpartner
Kindergarten Jois
Mag. Alexandra Scheibstock
3. Inhaltliche Kriterien zur Projekterfüllung
Wie werden Lesekompetenz oder ihre Voraussetzungen durch das Projekt nachhaltig und messbar verbessert?
Die Lesezeit am KG Jois ermöglicht es den Kindern unterschiedliche Arten von Bilderbüchern mit verschiedenen Themen kennenzulernen. Das Zuhören beim Vorlesen und Betrachten der Bilder gibt ihnen die nötige Zeit, sich gedanklich damit auseinanderzusetzen. Der Plauderkreis nach jedem Vorlesen bietet die Möglichkeit sich darüber zu artikulieren. Die Kinder erkennen, welcher Schatz sich zwischen Buchdeckeln verbirgt – „Das ist aber ein tolles Buch!!“ – sie bekommen Lust auf mehr. Ein weiterer Schritt ist der wachsende Drang endlich selbst lesen zu können, nicht mehr vom Vorlesen abhängig zu sein.
Die Voraussetzungen für Lesekompetenz werden zusätzlich durch das Entschlüsseln von Symbolen – sie dienen der Veranschaulichung bei Spielbeschreibungen – sowie das Trainieren des Erkennens von Zusammenhängen – Bilderdurcheinander, chronologische Reihenfolge wiederherstellen – gestärkt.
Das Entschlüsseln von Codes gehört ebenso dazu – anhand einer Zeichnung Gefühle erkennen.
Die zukünftige Lesekompetenz der Vorschüler wird dahingehend gefördert, dass sie lernen Wesentliches zu erkennen.
Ebenfalls förderlich ist die Fähigkeit Gehörtes inhaltlich zu verstehen und mündlich wiedergeben zu können – angeregt durch Erzählstreifen in der Lesepost.
Diese vielfältige Förderung der Teilkompetenzen ist nachhaltig und messbar. Laut Aussage der Eltern lässt sich eine Verhaltensveränderung feststellen, die Kinder fordern das Vorlesen vehement ein, sie geben Gehörtes im Familienkreis wieder.
Wie geht das Projekt auf Kinder mit Leseproblemen ein?
Da die teilnehmenden Kinder noch nicht lesen können, gibt es auch niemanden mit Leseproblemen.
Die Lesezeit sehe ich jedoch als präventive Maßnahme gegen Leseprobleme, da es sich um eine konkrete Lesefrühförderung handelt, die über die drei Stufen: Lesen – Verstehen – darüber Sprechen abläuft. Leseverständnis, insbesondere Hörverständnis, wird trainiert. Das sich daraus ergebende Erfolgserlebnis fördert die Motivation „Lesen zu lernen“.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet das bewusste Einbinden der Eltern in die Leseerziehung. Schon bei der Vorstellung des Projekts Lesezeit wurde ihnen ihre entscheidende Rolle beim Prozess des Lesenlernens bewusst gemacht. Durch die Lesepost fordern die Kinder die elterliche Mitarbeit automatisch ein – sie tun dies nach Berichten der Eltern oft sehr vehement. Der Abschlussabend für die Eltern informiert sie über ihre Rolle und Möglichkeiten in der Leseerziehung in der Volksschule.
Eine weitere Maßnahme Leseproblemen vorzubeugen, ist das kooperative Lesen. Da es zw. Leser und (Noch)Nichtleser stattfindet, läuft es mit Wörtern und Bildern. Dazu eignen sich Bücher, deren Text sich aus ca. zwei Drittel Wörtern und einem Drittel Bilder zusammensetzt. Dies ermöglicht ein gemeinsames Lesen einer Geschichte, das Kind wird somit vom passiven Zuhörer zum aktiven Mitleser. In der gemeinsamen Lesestunde mit der 4. Klasse VS erfolgt das kooperative Lesen als Peer Teaching, Gleichgestellte arbeiten gemeinsam und lernen voneinander.
Was sind die Besonderheiten des Projektes?
Die Lesezeit kommt den Bedürfnissen der Kinder auf dem Weg vom Kindergarten in die Schule in vielerlei Hinsicht entgegen, unterstützt sie bei der Transition. Sie konfrontiert sie mit schulischen Lernformen – Zuordnungsaufgaben, Reihenfolge herstellen etc. – ohne jeglichen Leistungsdruck sowie Konsequenzen.
Die Zusammenarbeit mit der 4. Klasse der VS Jois wurde bewusst gewählt, da die Klassenlehrerin die zukünftige Lehrerin der Vorschulkinder ist. Die Kinder haben somit die Gelegenheit die Arbeit in der Schule vor Ort mitzuerleben. Positiv verstärkt wird diese Zusammenarbeit durch die Tatsache, dass sich einige Geschwisterkinder in der Gruppe befinden, was den Jüngeren die Scheu nimmt. Gearbeitet wird zwischen Vorschul- und Schulkindern auf Augenhöhe, kooperatives Lesen steht im Mittelpunkt. Die Volksschulkinder bieten natürlich mehr Hilfestellung, durch ihre Lesekompetenz, die Geschichte, das Gedicht usw. ergibt sich jedoch durch gemeinsames Lesen, Reimen, Raten.
Die Besonderheit der Lesezeit liegt aber auch darin, dass sie Kinder sowie Eltern überrascht, mit welchen Themen man sich befassen kann und welche Erkenntnisse man gewinnt. Nach Aussagen der Eltern bzw. der Kindergartenpädagoginnen hätten sie Themen wie „Flucht“ oder „Vorurteile“ in einer Vorlesestunde nicht erwartet. Außerdem beobachten sie, dass Kinder, die normalerweise sehr still sind, sich hach der Lesezeit verstärkt äußern, eine Meinung vertreten, zuhause der Familie das Gehörte schildern.
Eingesetzte Medien
Jede Lesezeit hat ihr eigenes Plakat, das im Eingangsbereich des Kindergartens vor und einige Tage nach der Lesezeit hängt. Es informiert in Wort und Bild über den Themenbereich sowie das dazugehörige Buch.
In der Lesezeit wird das jeweilige Bilderbuch Seite für Seite an die Wand des Turnsaals im Kindergarten mithilfe eines Beamers als Power Point Präsentation projiziert. Dieses Vorgehen gewährleistet, dass jedes Kind jedes Bild genau sehen und auch Details erkennen kann.
Folierte Bildkarten werden ebenso verwendet, sie geben Sprechanlässe oder werden im Fall des Themas Gefühle als Symbole für die jeweilige Emotion an verschiedenen Orten im Turnsaal befestigt.
Weiters kommen kurze Filmsequenzen zum Einsatz – youtube Video von „Das ist ein Buch“ L. Smith aus dem Internet, Ausschnitte aus „Drachenzähmen leicht gemacht“ DVD. Sie dienen dazu in ein Thema einzuführen, sind aber stets knapp gehalten, da Bücher und Lesen im Vordergrund stehen.
Musiksequenzen dienen dazu, Bewegung zu ermöglichen, wenn das Zuhören den Aufmerksamkeitspegel der Kinder zu sehr ausreizt.
Die Lesepost enthält Puzzles, Memories, Zeichenanleitungen, Erzählstreifen, Bilderdurcheinander – alles in Farbe und meist aufgrund der längeren Haltbarkeit foliert. Mithilfe der Webside www.hoerfux.com wurde eine Hör-CD zum Thema „Drachen“ erstellt.
Im Sinne einer modernen Lesedidaktik aktiviere ich mit diesen Medien die unterschiedlichen Lernkanäle, die Kinder werden visuell, auditiv u. kinestetisch gefordert.
Wie garantiert das Projekt, dass alle teilnehmenden Kinder tatsächlich viel lesen?
Ein wesentliches Ziel der Lesezeit besteht darin Kinder auf das Lesen neugierig zu machen. Vorlesen empfinden alle Kinder als angenehm, sie genießen die Nähe zum Vorleser, lauschen gespannt der Geschichte, widmen einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit den Bildern. Kinder, die viel vorgelesen bekommen, werden zu Lesern, sie schätzen das Medium Buch, sie lernen auch wesentlich leichter.
Die Lesezeit unterstützt und fördert diesen Prozess in mehrerer Hinsicht. Sie macht durch die gebotenen Geschichten neugierig auf weitere Lektüre. Die Lesepost bringt jene Eltern dazu, die vielleicht nicht so gerne und oft vorlesen, dies doch desöfteren zu tun. Ein weiterer Effekt der Lesepost liegt darin, dass sie Kompetenzen fördert, die beim Lesen wichtig sind – das Erkennen von Zusammenhängen, das Unterscheiden zwischen vorher und nachher, das Erstellen einer Chronologie.
Der Kompetenzbereich Hören, Sprechen und Miteinander-Reden wird in der Lesezeit konkret gefördert, dazu gehören die Bereitschaft und Fähigkeit anderen zuzuhören sowie sich zum Gehörten/Gesehenen zu äußern.
Im Endeffekt sollte das Ergebnis ein neugieriges Kind, das viel liest, sein, an seiner Seite hat es Eltern, die über Bücher und das Lesen gut informiert sind – die besten Voraussetzungen für den weiteren Aufbau von Lesekompetenz.
Wie wird das Projekt abgeschlossen und evaluiert?
Im Juni findet ein Informationsabend zur Lesezeit statt, er bietet den Eltern einen Rückblick auf die Lesungen, Anregungen bei der Buchauswahl und gibt vor allem Tipps, wie sie ihr Kind beim Lesenlernen unterstützen können – z.B.: richtiges Partnerlesen, Aufrechterhaltung der Lesemotivation etc.
Mit den Vorschulkindern möchte ich als Abschluss eine Veranstaltung der Bücherbühne in Wien besuchen, ihnen bei dieser Gelegenheit eine Bibliothek zeigen.
Evaluieren lässt sich die Kompetenz der Kinder Zusammenhänge zu erkennen, eine Reihenfolge herzustellen, die Bedeutung von Buchstaben zu erfassen.
Die Themenbereiche, die Bilderbücher bieten, sind aus dem Leben gegriffen und daher noch lange nicht erschöpft, deswegen möchte ich nicht von einem Abschluss sprechen, vielmehr von einem Beginn. Ich freue mich auf das Erstellen und die Durchführung weiterer spannender, interessanter und auch lustiger Lesezeiten.
4. Foto
5. Sonstiges
Was möchten Sie uns sonst noch mitteilen?
Jois, der Ort, wo die Lesezeit stattfindet, ist eine kleine Weinbaugemeinde, deshalb habe ich meinem Projekt den Namen Lesezeit gegeben. Die Lesezeit sprich Erntezeit ist die entscheidende Periode im Arbeitsjahr der Weinbauern, sie ernten die Früchte ihrer Mühe und freuen sich auf das Endprodukt, den Genuss des Weines. Der Wein hat viel mit menschlicher Kultur zu tun – ebenso das Buch.
Das Lesen von Büchern verbinde ich mit einem ähnlichen Prozess: Die Mühen des Lesenlernens, das sich Durcharbeiten Wort für Wort, Satz für Satz werden mit einer Geschichte belohnt, die uns einen ähnlichen Genuss bereitet, sogar ohne folgende Kopfschmerzen.
Die Arbeit mit Kindergartenkindern ist für mich eine neue Erfahrung, da ich es als AHS-Lehrer mit 10- bis 18-Jährigen zu tun habe. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass mein Publikum nicht lesen kann, eine Tatsache, auf welche das komplette Programm abgestimmt werden muss und ein Arbeiten mit Symbolen bzw. Zeichnungen, Bildern erfordert.
Meine Kenntnisse über Kinderbücher sowie meine Erfahrung mit der Arbeit mit Bilderbüchern bei den 10- bis 14-Jährigen wollte ich jedoch unbedingt mit jenen teilen, für die sie gemacht sind.
Die Mühe des Erstellens der einzelnen Lesezeiten – Ideensuche, Materialherstellung, Zeitaufwand vor Ort – hat sich auf jeden Fall gelohnt. Bestärkt wird dieser Eindruck durch Rückmeldungen seitens der Eltern, wie ihr Kind vom Gehörten berichtet u. wie intensiv es sich mit der Lesepost beschäftigt.