NOMINIERT // Tandemlesen in mehrsprachigen Klassen

Institution
VS Odoakergasse
ProjektleiterIn
Susanne Stadlmayr
Kategorie
Kategorie 1: Volksschulen
Gruppengröße
100

1. Projektbeschreibung (Ziele, Ablauf, Schwerpunkte)

Kurzbeschreibung
Die Volksschule Odoakergasse inmitten des 16. Wiener Gemeindebezirk ist gekennzeichnet durch den sehr hohen Anteil an Kindern aus bildungsfernen Schichten sowie dem fast 100%igen Anteil von Kindern mit nicht deutscher Erstsprache. Die Bildungsvoraussetzungen der Kinder sind mehrheitlich ungünstig, was sich vor allem im sprachlichen Bereich widerspiegelt und mit einer ungenügenden Leseleistung und geringer Lesemotivation korreliert. Die Folge sind geringere Bildungschancen und eine eingeschränkte Teilhabe an der Gesellschaft. Dementsprechend hoch sind die pädagogischen Herausforderungen an diesem Schulstandort, weshalb ich versucht habe, eine neue Methode der Lesebasisbildung zu etablieren, die der Mehrsprachigkeit Rechnung trägt und das soziale Miteinander fördert. Nach längerer wissenschaftlicher Recherche habe ich mich entschieden, die Methode des Tandemlesens im Leseunterricht zu implementieren und dafür 4 Klassen (2.-4. Schulstufe) mit je 25 Kindern ausgewählt. Tandemlesen zählt zu den Lautleseverfahren, die vor allem im anglo-amerikanischen Raum weit verbreitet sind, jedoch im Österreichischen Schulsystem kaum Beachtung finden. Ziel des Tandemlesens ist die Basisförderung des Lesevorganges, um die Voraussetzungen für die Sinnentnahme zu schaffen, damit die Kinder Lesen als eine bereichernde und motivierende Tätigkeit erfahren. In den Klassen werden Lesepaare gebildet, in denen jeweils ein lesestärkeres Kind mit einem leseschwächeren Kind synchron und (halb)laut einen Text lesen.

2. Dauer/Umfang und ProjektteilnehmerInnen

Beginn des Projektes
7. September 2015
Ende des Projektes
None
In welcher Frequenz lief/läuft das Projekt?
täglich
Anzahl Kinder
100
davon Kinder mit anderer Erstsprache als Deutsch
95
Alter
8
Schulstufen
2.-4.
Extern eingebundene Personen
Partnerorganisation und Ansprechpartner

3. Inhaltliche Kriterien zur Projekterfüllung

Wie werden Lesekompetenz oder ihre Voraussetzungen durch das Projekt nachhaltig und messbar verbessert?
Das Anwenden von Tandemlesen in der Klasse führt zu einer enormen Steigerung der Leseflüssigkeit. Die erworbene Automatisierung entlastet das Arbeitsgedächtnis und macht den Weg frei für den Inhalt des Gelesenen, dadurch wird die Voraussetzung für genussvolles Lesen überhaupt erst möglich. Darüber hinaus werden unbekannte Wörter sofort im 2er Leseteam besprochen. Abhängig von der Zusammensetzung der Kinder im Leseteam (z.B. 2 Kinder mit türkischer Erstsprache) werden unbekannte Wörter in der jeweiligen Erstsprache oder auf Deutsch geklärt. Gelingt dem Team die Klärung nicht, erfolgt die Erläuterung durch die Lehrperson. Leseschwache und lesestärkere Schüler verbessern ihr Textverständnis und zeigen eine höhere Lesemotivation, da die Kinder als Team ihren Lese- und Sprachfortschritt miterleben und sich in peers über das Gelesene austauschen. Fast die Hälfte der männl. Jugendlichen und 20% der weibl. Jugendlichen (vgl. Harm-Garth, 1997, 12) geben an, nicht gerne zu lesen. Nicht-lesen-wollen verweist meist auf ein Defizit in der Lesetechnik. Die Gefahr, dass ungeübte Leser auf einem niedrigen Niveau der Lesetechnik stagnieren und gar nicht die Voraussetzungen erwerben, lesen als bereichernde und lustvolle Tätigkeit zu erfahren, ist groß. Die Implementierung des Tandemlesens bereits in der Grundstufe stellt eine ausreichende Lesetechnik bis zum Ende Volksschulzeit sicher und schafft die Voraussetzungen für intrinsisch motiviertes Lesen.
Wie geht das Projekt auf Kinder mit Leseproblemen ein?
Ein lesestärkeres und ein leseschwächeres Kind lesen synchron und halblaut im Chor aus einem Textexemplar. Bei einem Lese- oder Intonationsfehlern (ohne Selbstkorrektur!) markiert der Tutor das fehlerhafte Wort, klärt es ab, und das Team setzt zu Satzbeginn neu an. Unbekannte Wörter werden sofort und ggf. in der jeweiligen Erstsprache geklärt. Ist dies nicht möglich, kommt die Lehrperson zu Hilfe, die währenddessen wie ein Rettungshubschrauber die Teams betreut und individuell unterstützt. Der Text wird mind. 3mal im 2er Team gelesen. Anschließend liest der Tutand den Text alleine. Bei nicht korrigierten Fehlern, wird dieser korrigiert und beide setzen im Chor wieder neu an. Nach jeder Lesung wird unter den Text ein Häckchen gesetzt. Danach erfolgt im 2er Team eine inhaltliche Auseinandersetzung. Ziel ist eine wiederholte und protokollierte Übung der Leseroutine zur Steigerung des Lesetempos, der Lesegenauigkeit und der Leseflüssigkeit sowie die angemessenen Intonation des Deutschen und die Wortschatzerweiterung im Deutschen sowie der Herkunftssprache. Tandemlesen ist meiner Erfahrung nach besonders für Kinder mit nicht deutscher Erstsprache und für Kinder aus buch- und bildungsfernen Schichten geeignet, da die sie aufgrund dieser kooperativen Methode, die Möglichkeit haben, in peer-groups und am „Vorbild“ zu lernen. Sie erwerben wertvolle Sprach- und Lesekompetenz in der Zielsprache Deutsch, stärken ihre Erstsprache und erfahren wechselseitige Wertschätzung.
Was sind die Besonderheiten des Projektes?
Das Besondere am Tandemlesen in mehrsprachigen Klassen sind die einfache Durchführung und die Schaffung einer sozialen und mehrsprachigen Lernsituation. Einmal eingeübt entwickelt sich das Tandemlesen zu einem Selbstläufer bis zur 4. Schulstufe. Die Teams können und sollen immer wieder neu gemischt werden, z.B. nach sprachlichen, kulturellen oder sozialen Aspekten. Darüber hinaus kann die Methode klassenübergreifend durchgeführt werden, z.B. als punktuelle Intervention für leseschwächere Kinder aus anderen Klassen. Gerade in Zeiten der Ressourcenknappheit in Schulen und dem Zustrom von Kindern mit anderen Erstsprachen bietet sich eine kooperative Methode wie das Tandemlesen an, um ohne zusätzlichen Personalaufwand, den individuellen Lese- und Sprachbedürfnissen der Kinder gerecht zu werden.
Eingesetzte Medien
Die Leseteams lesen in jeder Einheit unterschiedlichste, einfache und kurze Textsorten und Genres (z.B.: Zeitungsartikel, lyrische Texte, Kurzgeschichten, Sachtexte etc.). Die anschließende Phase der Textbearbeitung erfolgt unter Einbeziehung verschiedener Medien, die in jedem Klassenzimmer zur Verfügung stehen (z.B.: Tafelbilder, Overhead, Internet, etc.). Um den Lautpegel innerhalb der Klasse steuern zu können, wird ein Musikinstrument (z.B. Triangel) verwenden – nach Erklingen des Instruments reduzieren die Kinder die Lautstärke, ohne das Lesen zu unterbrechen, und gehen wieder in ein gemeinsames „Murmellesen“ über.
Wie garantiert das Projekt, dass alle teilnehmenden Kinder tatsächlich viel lesen?
Im Vergleich zur stillen Lektüre, die im Unterricht vielfach eingefordert aber nicht sichergestellt wird, gewährleistet das Tandemlesen den Leseprozess tatsächlich. Die Kinder wenden ein sogenanntes Lautleseverfahren an, indem sie den vorgegebenen Lesetext 3-4 mal im Team chorisch, (halb)laut lesen und verbalisieren – die technische, basale Seite des Lesen wird sichtbar. In der Zusammenarbeit mit dem lesestärkeren Partner lernt das leseschwächere Kind, Wörter korrekt zu dekodieren, zu artikulieren und zusammengehörige Satzteile auch sinnstiftend zusammenzuziehen. Unbekannte Wörter werden sofort im 2er Team oder über die Lehrperson geklärt. Besonders hervorzuheben ist der Transfereffekt des Lautlesens auf das Textverstehen, was sich schließlich in der gemeinsamen, inhaltlichen Bearbeitung der Texte widerspiegelt. Besonders effektiv ist es, wenn diese Methode fix in den Leseunterricht integriert wird und 3mal wöchentlich á 20 min. angewandt wird. Im Anschluss an die reine Lesezeit folgt eine Phase der inhaltlichen Auseinandersetzung. Die Lesepaare bekommen die Möglichkeit, sich nochmal intensiv mit dem Gelesenen zu beschäftigen, z.B. einen Steckbrief einer Figur zu erstellen, ein Mindmap anzufertigen, Rätselaufgaben über den Inhalt und Wortschatz lösen, ein Partnerinterview zu führen etc.
Wie wird das Projekt abgeschlossen und evaluiert?
Tandemlesen fällt in den Bereich des kooperativen Lehrens und Lernens mit dem vorrangigen Ziel, die Leseflüssigkeit der Kinder zu steigern. Ein Ablaufdatum dieser Lesemethode gibt es daher nicht und ist meiner Meinung auch nicht sinnvoll. Die Evaluierung der Leseleistung erfolgt in jeder, einzelnen Einheit, einerseits durch die Selbstkontrolle der Kinder (Häkchen nach jedem Lesen) andererseits erhält das leseschwächere Kind ein direktes Feedback von seinem Tutor, etwa bei falsch oder richtig gelesenen Wörter. Die gelesenen und bearbeiteten Texte werden in einer Lesemappe gesammelt. Zudem besteht die Möglichkeit, dass ein Tutand zum Tutor wird, indem eine zuvor vereinbarte Anzahl an Lesetexten aus der Lesemappe vorbereitet und der Lehrperson vorgelesen wird. Dieser „Rollentausch“ löst meiner Erfahrung nach den höchsten Motivationsschub bei den Kindern aus. Anhand von Lautleseprotokollen (vgl. Rosebrock/Nix, 2011), die ich mit den ehemals leseschwächeren Kindern durchführe, lässt sich die signifikant gesteigerte Leseflüssigkeit und ein besseres Textverständnis darstellen. Zudem sind Lautleseverfahren über Jahre hinweg empirisch erforscht worden und ihre Wirksamkeit und Nachhaltigkeit wurde vielfach bestätigt (vgl. National Reading Panel, 2000).

4. Foto

5. Sonstiges

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